Fachbereich Finanzen / Wirtschaft / Soziales


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21.07.2000

Liebe KollegInnen,

die nachfolgenden Auszüge aus dem DIW-Wochenbericht 45/99 v.11.11.99
(Titel: "Weiterhin hohe Transfers an die ostdeutschen Sozialversicherungsträger") zur Finanzlage der Sozialversicherung verdienen es m.E. in den aktuellen Diskussionen über die "Finanzierbarkeit des Sozialstaats" (nicht nur bei der Rente) zur Kenntnis genommen zu werden. Die geschilderte Faktenlage belegt die unverminderte Aktualität der Forderung, die Sozialversicherungsträger von den ihnen einseitig aufgebürdeten Finanzierungslasten der deutschen Vereinigung zu befreien.
In der früheren rot-grünen Diskussion spielte hier v.a. die Erhebung einer ergiebigen, befristeten Abgabe auf Großvermögen eine wesentliche Rolle, die heute "offiziell" völlig in Vergessenheit geraten ist.

"Die Sozialversicherung ist unvermindert in der Kritik. Die Belastung der Versicherten wird als zu hoch angesehen. Mit dieser Begründung werden weitreichende Änderungen des Systems und Kürzungen der Leistungen gefordert. Diese Argumentation verkennt, dass die finanzielle Schieflage vor allen Dingen durch die Vereinigungslasten bedingt ist: Allein im Jahre 1999 werden Transfers in Höhe von 40 Mrd. DM für die Arbeitslosen- und Rentenversicherung geleistet.

Die Sozialversicherung wird ihre Einnahmen-Ausgaben-Rechnung für das Jahr 1999 - wie schon in den beiden Vorjahren - mit einem Finanzierungsüberschuss abschließen. Im Jahre 1999 wird der Überschuss gut 10 Mrd. DM betragen. Er ist das Ergebnis einer Einnahmesteigerung, nicht dagegen eines Zurückfahrens der Ausgaben. (...)

Sowohl für die westdeutschen Renten- als auch für die westdeutschen Arbeitslosenversicherungsträger werden seit 1991 hohe Überschüsse ausgewiesen - und dies, obwohl in Westdeutschland die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik besteht.
(...)

Die finanzielle Situation der Renten- und Arbeitslosenversicherungsträger wird vor allem durch die unausgeglichene Einnahmen-Ausgaben-Entwicklung in den neuen Bundesländern geprägt. Die kumulierten Defizite der Rentenversicherungsträger in den neuen Bundesländern beliefen sich im Zeitraum 1991 bis 1999 auf 111,9 Mrd. DM. Davon wurden knapp 80 Mrd. DM aus den laufenden Überschüssen der westdeutschen Träger finanziert. Der Restbetrag ging zu Lasten der in Westdeutschland aufgebauten Rücklagen der Rentenversicherungsträger.

Im Bereich der Arbeitslosenversicherung liegt der Finanzierungsbeitrag der westdeutschen Träger zum Ausglech der Defizite der ostdeutschen Träger noch höher; der für die Jahre 1991 bis 1999 kumulierte Betrag macht 158 Mrd. DM aus. Die Summe der Defizite in der laufenden Rechnung beträgt 251 Mrd. DM. Die noch verbleibende Finanzierungslücke wurde durch Zahlungen des Bundes gedeckt. Da der Bund keinen Zuschuss an die Bundesanstalt für Arbeit zahlt, sondern verpflichtet ist, ein verbleibendes Defizit auszugleichen, führt die Vergrößerung des Überschusses bei den westdeutschen Trägern zu einer Verringerung der Bundeszahlungen. Dies war in den letzten drei Jahren der Fall und bedeutet, dass die westdeutschen
Versicherten mehr und mehr zur Finanzierung der Folgen der Vereinigung herangezogen wurden.

Den Sozialversicherungsträgern im Bereich der Arbeitslosen- und Rentenversicherung ist ein großer Teil der Vereinigungsfolgen aufgebürdet worden. Aus den Überschüssen der westdeutschen Träger dieser Bereiche werden seit Jahren die Defizite der ostdeutschen Versicherungen mitfinanziert, und zwar in einem kumulierten Umfang von 238 Mrd. DM seit 1991.

Sowohl in der Arbeitsmarktpolitik als auch bei der Einkommenssicherung im Alter und bei Arbeitslosigkeit wären aber nicht nur die Versicherten, sondern alle Bürger gefordert, die sich aus der Vereinigung ergebenden Kosten der sozialen Absicherung mitzufinanzieren.

Die Finanzierungslast, die den Versicherten aufgebürdet wurde, hat auch die Frage nach der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung aufgeworfen. Die entstandenen Defizite und die deshalb notwendig gewordenen Beitragssatzanhebungen werden nicht als Folge der Vereinigung, sondern als Schwäche des Umlageverfahrens interpretiert. Deshalb wird ein Wechsel des Finanzierungsverfahrens - vom Umlageverfahren zum Kapitaldeckungsverfahren - und eine Einschränkung der Leistungen vorgeschlagen. Damit wird völlig aus dem Blick verloren, dass die Renten- und die Arbeitslosenversicherung in Westdeutschland im letzten Jahrzehnt erhebliche Überschüsse erzielt haben, die Beitragssätze also ohne die einigungsbedingten Lasten hätten deutlich niedriger sein können."

(Ende DIW-Textauszüge)


Ergänzend: Ursache der Defizite der ostdeutschen Sozialversicherungsträger ist selbstverständlich die hohe, durch die Deindustrialisierung Ostdeutschlands in Folge der Kohl'schen Vereinigungspolitik entstandene Massenerwerbslosigkeit. Dies schließt auch die Träger der Gesetzlichen Krankenversicherung ein. In der Rentenversicherung spielt daneben auch eine Rolle, dass die zu DDR-Zeiten erworbenen ostdeutschen Rentenansprüche in Folge der insgesamt höheren und qualifizierteren Erwerbsbeteiligung der Frauen höher sind als im Westen.

Spannend ist die Frage, welche Möglichkeiten die Sozialversicherungsträger (West) gehabt hätten / haben würden, mit den Überschüssen Vorsorge für zukünftige Finanzierungsrisiken (demografische Entwicklung) zu treffen.

Es grüßt

Daniel Kreutz
Brüsseler Str. 12
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daniel.kreutz@bigfoot.de

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