(BasisGrüne) Thesen für Dortmund

1. Der Grüne Weg von Magdeburg bis Bielefeld

Der Niedergang des grünen Projekts "Bündnis 90/Die Grünen" begann nach Magdeburg. Ein vermeintlich zu radikales Parteiprogramm und die Parteibasis, die dieses beschlossen hatte, wurden für schuldig befunden an fallenden Umfragewerten. Das demütige Eingeständnis an die gesellschaftliche Mehrheit, "Fehler" gemacht zu haben, wurde gleichzeitig Druckmittel auf die Parteibasis, solche Fehler der Radikalität nicht zu wiederholen. Die nachfolgenden Parteitage zeigten Wirkung: in Bonn wurde mit wenig Begeisterung dem (sehr)rot-(wenig)grünen Koalitionsvertrag zugestimmt, in Leipzig wurde trotz vieler Vorbehalte einer Strukturreform zugestimmt, in Bielefeld wurde unter Beteuerung großer Zerrissenheit dem Einsatz militärischer Gewalt zur Konfliktlösung zugestimmt. Der Weg von Magdeburg bis Bielefeld ist der Weg der Domestizierung einer vorher basisdemokratisch-ökologisch-sozial-gewaltfrei profilierten Partei zu einer diszipliniert-paralysiert den angeblichen Sachzwängen angepassten Regierungspartei.

2. Der Preis des Mitregierens.

Der im Wahlkampf versprochene Politikwechsel findet nicht statt. Unter einem Kanzler, dessen prioritäre Bündnispartner die Wirtschaftsbosse sind und dessen letztlicher Maßstab für Regierungspolitik weder Parteiprogramme noch Koalitionsvertrag sind, sondern das mit diesen Bündnispartnern kampflos Aushandelbare, hat Politikwechsel auch keine Chance. So ist der
sozialdemokratische Faden in der Regierungspolitik im besten Fall der Blair´sche neoliberale "dritte Weg", der auch in der grünen Bundestagsfraktion seine Anhänger hat und sich in deren Verabschiedung der wirtschaftspolitischen Plattform "Initiativen für Investitionen, Arbeit und Umwelt" darstellt.
Die sogenannten Regierungsbeteiligungs"essentials", ohne die Grüne keine Koalition eingehen wollten - Ausstieg aus der Atomkraft, deutlicher Einstieg in eine ökologisch-soziale Steuerreform mit ökologischer Lenkungswirkung - waren im Regierungsalltag schnell entsorgt und ihre Befürworter als Utopisten "entlarvt".
Der Preis fürs Mitregieren ist hoch: der Preis ist die Aufgabe der Erreichbarkeit grüner Ziele durch Regierungsbeteiligung als realistische Perspektive. Der Preis ist, die programmatische Arbeit und Ausrichtung vieler Jahre als realitätsuntauglich abzuhaken.

3. Kriegsbeteiligung

Den höchsten Preis an Identitätsverlust zahlt die Partei Bündnis 90/Die Grünen mit ihrer Zustimmung zum Nato-Einsatz in Jugoslawien. "Kontinuität" war vom Außenminister bei Regierungsantritt versprochen worden, und dieses Versprechen mußte bereits nach wenigen Monaten Regierungstätigkeit auf für die Grüne Partei eigentlich nicht tragbare Weise eingelöst werden: Der Griff zur militärischen Gewalt als nicht bewährtem, aber traditionellem Mittel der Konfliktlösung. Im Bestreben, sich als zuverlässige Partner im Nato-Bündnis zu beweisen, stehen Kanzler Schröder, Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping in der vordersten Reihe der Nato-Luftschläge-Befürworter. Die Partei wurde vor die Alternative gestellt, dies mitzutragen oder die Verantwortung für den Bruch der Koalition zu übernehmen. In Bielefeld wurde mehrheitlich - in offenem Widerspruch zum eigenen Grundkonsens - Krieg als Mittel der Politik akzeptiert, um die rot-grüne Koalition nicht zu gefährden.

4. Unsere Konsequenz: ein neues Bündnis

Für viele gerade der aktivsten Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen ist die einzig mögliche Konsequenz nach Bielefeld der Austritt aus der Partei. Für andere ist die Konsequenz, in eine "innerparteiliche Opposition" zu gehen, aber in der Partei zu bleiben, um das "grüne Projekt" nicht denen zu überlassen, die es durch Marginalisierung der Inhalte gefährden. Gemeinsam ist beiden Gruppen der Wille, weiterhin politisch tätig zu sein und sich für die Beendigung des Krieges in Jugoslawien einzusetzen.
Unser Ziel ist ein Bündnis aus Noch-Grünen, Nicht-mehr-Grünen, Noch-nie-Grünen, die der Wille eint, sich politisch gegen diesen Krieg zu engagieren; die die Enttäuschung der Erwartung eint, sich von den Grünen in Bundestag und Regierung vertreten zu sehen, und die sich nun von keiner Partei im Bundestag vertreten sehen.

5. Für eine antimilitaristische Politik

Wir akzeptieren Krieg als Mittel der Politik nicht. Der Fall Kosovo ist gerade nicht der Beweis dafür, daß der Pazifismus realitätsuntauglich ist, sondern der Beweis dafür, daß militärische Gewalt als ultima ratio untauglich ist. Eine ultima ratio muß definitiv zum Ziel führen, das tun die Nato-Luftschläge in Jugoslawien nicht. Die Bezeichnung "Humanitäre Intervention" für die Bombardierungen ist inzwischen nur noch zynisch, angesichts der unter den Bombardierungen immer katastrophaler werdenden humanitären Situation im Kosovo und der wachsenden Zahl ziviler Opfer in Jugoslawien. ("Tote Zivilisten sind eben keine Kolateralschäden, sondern tote Zivilisten." Annelie Buntenbach in Bielefeld) Es zeigt sich - was Pazifisten schon immer wußten - wie schwer es ist, aus der militärischen Eskalationslogik wieder herauszufinden, wenn man sich einmal in sie hineinbegeben hat. Neben der Verselbständigung des Nato-Krieges haben die diplomatischen Bemühungen um Verhandlungen, so sehr wir ihnen Erfolg wünschen, einen Charakterzug von Hilflosigkeit an sich.
Das Eigeninteresse der Nato an einem Sieg in diesem Krieg widerspricht der von uns gesehenen Notwendigkeit einer sofortigen Beendigung der Kriegshandlungen in Jugoslawien und Kosovo, egal unter wessen Gesichtsverlust.
Wir halten die neue Strategie der Nato mit Selbstmandatierung und Ausweitung der Kompetenzen zulasten der UNO für eine folgenschwere Fehlentwicklung, die zu militärischer Aufrüstung und zu erhöhter künftiger Kriegsgefahr führen wird. Eine solche Militarisierung der internationalen Außenpolitik lehnen wir ab und setzten stattdessen auf zivile Konfliktvermeidung, Stärkung der UNO und der OSZE.

6. Für eine ökologische Politik

Wir setzen uns ein für eine Politik der Nachhaltigkeit, deren Maßstab ist, die Ökologie nicht der Ökonomie unterzuordnen, sondern ökologische Belange auch als ökonomischen Faktor zu werten.
Ein Atomausstiegskonsens mit den Energieversorgern, der Restlaufzeiten für die AKW vorsieht, bis sie aus Rentabilitätsgründen sowieso abgeschaltet werden müssen, ist kein politischer Kompromiss, sondern ein völliges Unterordnen unter die ökonomischen Interessen der Betreiber. Wir kämpfen weiterhin für einen Atomausstieg, der sich an den Lebens- und Überlebensinteressen auch nachfolgender Generationen orientiert, nicht dem Risiko eines GAU, den Gefahren von Atommüll-Transporten und dem bisher ungelösten Problem des täglich mehr werdenden Jahrtausende strahlenden Mülls ausgesetzt zu sein. Wir wollen das Bewußtsein um die Notwendigkeit einer Verkehrswende wachhalten, wir wollen die Debatte um die Risiken der Gentechnik wachhalten, und wir wollen eine ökologisch-soziale Steuerreform, die den Energieverbrauch und CO2-Ausstoss eindämmt und den ökologischen Strukturwandel anstößt.

7. Für solidarische Alternativen zum Neoliberalismus

Wir wollen eine soziale Alternative zum Kurs des autoritären Neoliberalismus, wie er sich zum Ende der Ära Kohl ausprägte und wie er von der rot-grünen Bundesregierung mit nur marginalen Veränderungen weitergefahren wird. Steuerentlastungen für Unternehmer und ein Niedriglohnsektor sind keine Antwort auf Arbeitslosenzahlen. Wir wollen Mut machen zu einem wirklich emanzipatorischen Projekt einer veränderten Arbeitsgesellschaft u.a.auf der Basis radikal verkürzter Arbeitszeit. Mit Rezepten, die schon Kohl scheitern ließen oder halbherzigen Reförmchen wird der gesellschaftlichen Realität hoher Arbeitslosigkeit und verlorengehender sozialstaatlicher Garantien mit der mittelfristigen Folge von Verelendung in Teilen der Bevölkerung nichts entgegengesetzt.

8. Für eine emanzipatorische Politik

Herrschaftsverhältnisse (Geld, Macht und Chauvinismus) und Hierarchisierungen sind, nach Jahrzehnten kritischer Opposition dagegen, allgemein wieder gesellschaftsfähig geworden. Symptomatisch auch in der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Mindestquotierung, Doppelspitze, Trennung von Amt und Mandat und basisdemokratische Entscheidungsprozesse werden nicht mehr als emazipatorischer Fortschritt, sondern als alte der Effizienz hinderliche Zöpfe betrachtet, die es um einer diffusen "Modernisierung" willen abzuschneiden gilt. Wir halten diese "Modernisierung" für einen Rückfall in zu überwindende Verhältnisse. Unser politisches Ziel ist eine emanzipierte Gesellschaft mit Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit ohne Herrschaftsverhältnisse. Auch in unserem Bündnis wollen wir keine Herrschaftsverhältnisse und Hierarchisierungen, sondern
gleichberechtigte Beteiligung.

9. Organisation als Programm

Auf der gemeinsamen politischen Grundlage der 4 Säulen antimilitaristisch - ökologisch - solidarische Alternativen zum Neoliberalismus - emanzipatorisch wollen wir ein Netzwerk gründen. Wir haben den hohen Anspruch, unter dem Dach dieses Netzwerkes politisch aktive Menschen zu vereinen, die aus persönlicher Konsequenz die Grünen verlassen haben und die bei den Grünen bleiben wollen. Wir wissen, daß dieser Anspruch schwer einzulösen sein wird und das Bündnis nur auf der Basis höchster Akzeptanz der jeweils anderen Haltung funktionieren wird. Dieses Netzwerk wird unabhängig von der Grünen Partei arbeiten. Es ist auch ein Angebot an linke und alternative Kräfte, die schon immer außerhalb der Grünen arbeiten. Angestrebt werden Vernetzungen auf Bundes-, Länder- und regionaler Ebene, die dann auch regional bedingte Unterschiede in der inhaltlichen Ausprägung aufweisen können. Das Netzwerk ist offen für JedeN, die/der ihr/sein Politikverständnis von den 4 von uns benannten Grundsäulen vertreten sieht. Der bereits bestehende Zusammenhang "BasisGrün" wird Teil dieses übergeordneten Netzwerkes sein.

10. Zieldefinition

Ziel und Grund unseres Netzwerkes ist, den links-grün-alternativ orientierten Menschen, die durch den allgemeinen Rechtsruck der im Bundestag vertretenen Parteienlandschaft keine eindeutige politische Heimat mehr haben, ein Forum für politische Einmischung zu bieten.
Ziel ist, gegen die rot-grüne Bundesregierung eine inner- und außerparteiliche Opposition von links zu bilden. Ziel ist, Sprachrohr zu sein für linke antimilitaristische ökologische solidarische und emanzipatorische Politik. Vorrangiges Ziel der nächsten Wochen wird sein, Kräfte für eine Opposition gegen den Krieg zu sammeln und die Basis für eine antimilitaristische Bewegung zu verbreitern.

Sylvia Kotting-Uhl, 3.6.99
Kaiserstr.50
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Fax -63650
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